Dienstag, 11. August 2009

Ein Moment der Stille (Jasmina Meier)

Ein Moment der Stille, der Kontemplation, des Rückblicks und des Geniessens. Ich sitze auf einem flachen schwarzen Granitstein auf der Moräne vom Lager I - um mich herum „chnüsperlet“ es wie mit frischer Milch übergossenen Rice Crispies und in der Ferne höre ich Fels- und Gletscherabbrüche. Über den Gipfeln das Windrauschen und die Wolken blasen über die Krete des Pik Lenin - nur zu gut kann ich mir die Stärke des eingetroffenen Jetstreams vorstellen und bin froh, dass wir während der Gut-Wetterperiode den Berg ganz oder teilweise besteigen konnten.

Ich habe wieder die ausgemergelten Gesichter jener vor mir, die vom Gipfel nach 12 Stunden erschöpft zurück kamen, und für die ich zusammen mit Anderen wie in der Heilsarmeeküche zuvor pfannenweise Schnee schmolz, um sie mit heissem Wasser empfangen zu können.
Was für uns selbstverständlich war, jedoch nicht auf allen Expeditionen üblich, zeugt von dem engen und wohlwollenden Zusammenhalt unserer grossen Gruppe. Alle begegnen sich untereinander mit Wertschätzung über die individuell erbrachte Leistung und nehmen Anteil am Befinden der einzelnen Teammitglieder. Als ich in der zweiten Nacht im Lager III vor Atemnot weder schlafen noch liegen konnte war ich enorm dankbar um die nächtliche Mithilfe meiner Zeltpartnerin, um für mich ein „Sitzbett“ mit Polstern und zusätzlichen Kleidern unter meinem luftleeren Mätteli auf gefrorenem Boden zu errichten.

Ich erinnere mich an die vielen Gespräche vor den Zelten über die Chancen, Risiken, Unfälle und Erfahrungen in solcher Höhe – auch vor Ort, und dass ich mich gerne davor zurückzog, um „bei mir zu bleiben“, um meine Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment und meine Energie zu halten.

Jetzt, am letzten Tag im Lager I, nachdem alle Hochlagerzelte neu aufgestellt, kontrolliert und wie auch das Forschungsequipment verpackt wurde, macht sich bei uns Aufbruchstimmung breit.

Auch ich freue mich auf die Heimreise und meine Liebsten zuhause. Im Basislager Ashik Tash werde ich der Kirgisenfamilie mit der ich vor 2 Wochen eine spontane herzliche Begegnung teilte ein paar Geschenke anbieten. Noch ist das momentane Gefühl undefinierbar, und es braucht wahrscheinlich erst das Heimkommen, um die Vielfalt und Einzigartigkeit dieser Reise zu erfassen. Doch ich spüre die Dankbarkeit, diese Welt der Grenzen und Höhen und Tiefen in mir und um mich erfahren haben zu dürfen – und dass wir alle wohlbehalten die Heimreise antreten können.

Jasmina Meier

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